Hilfe für Menschen inmitten von Einsamkeit und Versuchungen

Von: Garrett Higbee

Lesezeit – 9 Minuten

Vor ein paar Jahren arbeitete ich für einen Hauskreis eine Studie aus (das kommt dem wahrscheinlich am nächsten einer small group study), in der ich zehn der „einander“ Verse der Bibel betrachtete. Ich war beeindruckt von den wiederholten Geboten, einander zu lieben, indem man einander ermutigt, betet, erträgt und tröstet (um nur einige zu nennen). Im Schöpfungsbericht weist die Bibel auf die klare gegenseitige Abhängigkeit hin, für die wir geschaffen wurden (1. Mo. 2,18). Deshalb trägt die gegenwärtige soziale Isolation nur zu den tiefgreifenden Problemen bei, die mit der Einsamkeit verbunden sind. Das Gefühl der Einsamkeit und des Getrenntseins ist in unserer heutigen Welt immer stärker ausgeprägt. Es ist daher nicht überraschend, dass sogar säkulare Sozialwissenschaftler bereits vor der COVID-19-Pandemie von einer Epidemie der Einsamkeit in den USA sprachen. Die erzwungene soziale Isolation in den letzten Monaten hat die Folgen, einer zunehmend abgekoppelten Gesellschaft nur noch verschlimmert.

Die Auswirkungen der Einsamkeit auf die physische und psychische Gesundheit sind gut untersucht, aber dieser Artikel wird sich auf einige heimtückische Auswirkungen der Einsamkeit auf Menschen in unserer Glaubensfamilie und unseren Einflussbereich konzentrieren. Sie sind real. Es wird wenig über die Auswirkungen gesprochen, von denen wir hoffen, dass sie zumindest innerhalb einer kleinen Gruppe oder mit einem vertrauten Freund zum Vorschein kommen. Einige haben dieses Ventil nicht. Was passiert, wenn man in Angst oder Trauer lebt, aber aus Angst vor der Verurteilung sich niemanden öffnet oder zugibt? Der Kampf mit der Versuchung verschärft sich, wenn wir uns abgekoppelt, unsicher oder depressiv fühlen.

Es ist zwar vorteilhaft sich notwendige Zeiten der Abgeschiedenheit zu suchen, um sich Gott zu nähern und von Geschäftigkeit und Ablenkung abzusondern. Allerdings ist Einsamkeit keine Disziplin, die Zeiten der Besinnung schafft, sondern einen ernst zu nehmenden, spürbaren Mangel innerhalb von Beziehungen schafft. Gott lädt uns zu sich ein, um diesem Defizit in seiner tiefsten Tiefe zu begegnen. Wir Menschen müssen verstehen, dass es in unserer Seele einen leeren Platz gibt, dem wir nur in Christus begegnen können.

„Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und schwer beladen seid, und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist leicht, und meine Last ist leicht“(Mt. 11,28-30).

Das Schöne am christlichen Glauben ist, dass wir nie wirklich allein sind. Gott ist mit uns, und in ihm zu bleiben, ist das erste und mächtigste Gegenmittel gegen die Einsamkeit.

„Auf Gott allein wartet meine Seele in der Stille; von ihm kommt mein Heil Er alleinist mein Fels und meine Rettung, meine Festung; ich werde nicht sehr erschüttert werden“ (Ps. 62,1-2, Hervorhebungen vom Verfasser).

Aber seien wir ehrlich, wir müssen uns gegenseitig an diese Wahrheit erinnern. Manchmal müssen wir für jemanden da sein und helfen, der so müde, mutlos oder depressiv ist, dass unsere Fürsorge Gottes Herz für ihn verkörpert. Der Herr hat die Gemeinde dazu bestimmt, eine Plattform für eine tiefe Gemeinschaft mit ihm und untereinander zu schaffen. Ich bin überzeugt, dass die Gemeinde eine erstaunliche Gelegenheit hat, zu tiefer Gemeinschaft, gegenseitiger Jüngerschaft und Seelsorge zurückzukehren: Ein Ort zu sein, an dem authentische Gemeinschaft wöchentlich und sogar täglich geschieht. Ein Leuchtturm der Hoffnung zu sein, der Menschen aus allen Völkergruppen und Sprachen zusammenbringt, um die Sehnsucht nach Verbindung zu stillen. Letztlich ist das tiefste Bedürfnis, sich zu verbinden und zu bleiben, bei unserem Herrn selbst, Er hat die Gemeinde als intimsten Ausdruck dieser Gemeinschaft gewählt (Joh. 13,34-35; 17,20-23).

Einsamkeit verstärkt die alltäglichen Versuchungen

Die meisten von uns wissen, dass wir, wenn wir uns einsam fühlen, eher in Versuchung geraten. Versuchung kann jederzeit geschehen, wir sind anfälliger für falsches Denken und fleischliche Begierden, wenn wir nicht in gelebter  Gemeinschaft sind. Jakobus 1 legt ein Muster für den rutschigen Abhang der Versuchung dar.

„Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand. Ein jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, bringt sie Sünde hervor; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.“

Einsamkeit bringt uns nicht dazu zu sündigen, aber sie macht es sicherlich leichter, diesen Weg einzuschlagen. In der Gemeinschaft zu bleiben (Hebr. 10,24-25) und einen engen Freund zum Reden zu haben (Spr. 17,17), kann den Unterschied ausmachen, ob man sündigen Begierden nachgibt oder sie bekämpft.

Mir kommt das Bild eines einsamen Schafes in den Sinn. Vielleicht hat sich dieses Schaf von der Herde entfernt, oder es ist auf irgendeine Weise isoliert worden. Wie auch immer, es ist verwundbar. Satan hält Ausschau nach den Verirrten und greift an, wenn wir am meisten isoliert, schwach oder anfällig für Versuchungen sind (1. Pet. 5,8). Wie ein einsames Schaf sind wir für alle Arten von Gefahren anfällig, wenn wir isoliert sind.

Die meisten von uns haben in der aktuellen Situation bestimmt einige intensive Momente der Einsamkeit erlebt. Doch bei einer verzweifelten einsamen Person kommen vielleicht noch Gefühle des Verlassen seins, des Verrats, der Ablehnung, des Verlusts oder ungelöste Konflikte hinzu. Diese Art von Einsamkeit ist skeptisch gegenüber Gebetsanliegen oder einer Einladung, wieder die Gemeinde zu besuchen. Dieser Geisteszustand hinterlässt eine Sehnsucht, die uns zu falschem Trost, falscher Sicherheit, weltlichen Vergnügungen und passiver Aggression führt. Eine junge alleinstehende Berufstätige fragt sich: „Kümmert sich wirklich jemand um mich? Warum ruft mich niemand an?“ Eine ältere Witwe fragt: „Warum kümmert sich niemand um mich?“ Ein abtrünniger Student am College fühlt sich im Recht zu trinken, weil seine Familie ihn scheinbar aufgegeben hat. Einsamkeit ist nicht für jeden das Gleiche, aber sie ist ein wahrer Opportunist.

Diese Art von Gefühlen der Angst und der Entfremdung verlangen nach eindringlicher Liebe und Nachsicht, während die meisten von uns darauf zu warten scheinen, dass jemand anderes die Hand nach uns ausstreckt! Diejenigen von uns, die sich ein wenig von anderen distanziert fühlen, aber immer noch nahe im Herrn sind, müssen in die liebevolle Offensive gehen und nicht in die ängstliche Verteidigung. Du wirst feststellen, dass das Ausstrecken der Hand nicht nur denen hilft denen du dienst, sondern auch dich selbst segnet (Spr. 11,25).

Einsamkeit hat einen Echokammer-Effekt in unserem Gedankenleben

Einsamkeit neigt dazu, negatives Denken und Verhalten zu verstärken. Sie ist wie eine Echokammer (Hinweis des Übersetzers: einseitige, selektive Informationen, die zu einer verengten Weltanschauung und Überzeugung führen kann) unserer schlimmsten Ängste, welche die Weisheit übertönt (Spr. 1:33). Unsere Selbstgespräche neigen dazu, über Was-wäre-wenn oder Unsicherheiten zu grübeln, was zu Lügen führt, die wir zu glauben beginnen. Nervosität wird zu einer lähmenden Sorge und kann zu unberechenbarem Verhalten führen; Enttäuschung kann zu Verzweiflung führen, die Hoffnungslosigkeit mit sich bringt, was zu mangelnder Selbstversorgung führen kann. Manche erfüllen ihre eigene Prophezeiung… „Keiner liebt mich“ und aus Angst oder Misstrauen halten sie sich von anderen fern. Sie haben das Gefühl verletzt oder enttäuscht worden zu sein und können sich im Moment nicht für weitere Hilfeleistungen öffnen. Andere sehen es vielleicht als eine Ausrede, um keinem Rechenschaft geben zu müssen.  Sprüche 18,1 warnt uns davor, uns selbst zu isolieren, was entweder ein Zeichen von Selbstsucht oder stolz sein kann: „Wer sich absondert, sucht sein Begehren, gegen alle Umsicht platzt er los.“  „Wer sich absondert, der sucht, was ihn gelüstet, und wehrt sich gegen alles, was heilsam ist.“

In beiden Fällen konfrontiert ein wahrer Freund Lügen liebevoll oder bittet um Vergebung, falls er nachlässig war und bleibt bei Kränkungen dran, bis die Person wiederhergestellt ist (Gal. 6,1-2). Wir sprechen die Wahrheit in Liebe (Eph. 4,15) und helfen anderen das Schema zu unterbrechen, dass „sich niemand kümmert“ oder „Gott nicht für sie da ist.“

Einsamkeit und soziale Distanzierung

Was aber, wenn die Lebensumstände uns zur Isolation zwingen? Wir sehnen uns nach Anschluss aber das ist vorübergehend nicht möglich. Der Psalmist schreibt,

„Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.“ (Ps. 102,8)

Schlafprobleme, ein tiefes Gefühl des Ausgeliefertseins oder einfach nur das Vermissen von Menschen, mit denen wir früher Zeit verbracht haben, können eine Traurigkeit hervorrufen. Dieses sind nur einige Auswirkungen der vorübergehenden, situativen Isolation. Es ist eine Zeit des Mitgefühls und der Demut: „Ich möchte deine Geschichte hören und mit dir teilen, wie es mir ergangen ist.“ Eine gute Möglichkeit, in diese Gespräche einzusteigen, ist die Kämpfe zuzugeben, ohne das Leiden mit dem des anderen zu vergleichen. Zweifellos sind wir alle schon einmal enttäuscht worden und hatten Momente der „hingehaltenen Hoffnung“(Spr. 13,12). Sich auszutauschen und gemeinsame Erfahrungen zu teilen, ist für die meisten hilfreich.

Den Einsamen dienen 

Wenn Einsamkeit ein vorherrschendes Problem in unserer Welt ist und die Versuchung zur Sünde erhöht, was können wir dann tun, um ihr frontal zu begegnen? Erst einmal müssen wir es uns eingestehen. Wir halten Predigten, in denen wir die Psalmen und andere Textstellen heranziehen, die Leiden und Einsamkeit mit einer vertikalen Realität ansprechen. Wir bitten Menschen, die mit Hilfe eines Freundes durch Einsamkeit gegangen sind, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen, um Licht in das Thema zu bringen.

Wir beschämen die Menschen nicht oder geben ihnen das Gefühl, dass der Glaube genug sein sollte, dass ein banaler christlicher Spruch oder ein oberflächlicher Versuch zu helfen nichts weiter bewirkt, als zu entfremden oder weiter zu verletzen. Vielleicht erzählen wir in Predigten Geschichten von echten Menschen und echten Kämpfen (mit Erlaubnis) oder verwenden zumindest glaubwürdige Hypothesen. Wir gehen die Extra-Meile mit Menschen, die uns zaghaft oder skeptisch gegenüber unserer Fürsorge erscheinen. Wir schreiben Nachrichten, rufen an, zoomen oder bringen ein Essen vorbei und haken weiterhin bei ihnen nach, wie es ihnen geht. Wir helfen nicht nur bei physischen Bedürfnissen – wir zielen mit unseren Fragen auf das Herz.
Wir pflegen mit Menschen eine Beziehung, die bis an den Rand ihrer Komfortzone geht.  Bei einige dieser Beziehungen mag das online stattfinden, bei anderen bedeutet es sehr vertrauliche Gespräche in unserem Wohnzimmer, wobei wir entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen. Wenn sie nicht auftauchen rufen wir sofort an, um zu fragen, wo sie waren. Wenn sie zögerlich sind, fragen wir sie, was sie abhält. Wenn jemand der Versuchung nachgegeben hat, empfindet er vielleicht Scham; wenn er von geistlicher Disziplinabgewichen ist, fühlt er sich peinlich berührt und fürchtet verurteilt zu werden. Andere werden dich testen, um zu sehen, ob du nur versuchst dein Programm durchzuziehen oder ob du dich wirklich um sie sorgst.

Denk daran, dass viele schon ein Gefühl des Getrenntseins hatten, bevor der Virus in den Gemeinden auf der ganzen Welt Verwüstung anrichtete. Einige der am meisten gefährdeten Menschen lebten bereits allein, wohnten in Pflegeheimen oder kämpften mit psychischen Erkrankungen oder verschiedenen Abhängigkeiten. Die Versuchung für sie, Trost in sinnlosen Ablenkungen zu finden, lüsterne Begierden zu erfüllen, den Schmerz zu betäuben oder selbstzerstörerisch zu werden, hat ihren Kampf wahrscheinlich noch verschlimmert. Höre aufmerksam zu, biete einen sicheren Ort, um sein Herz zu öffnen, und bete mit ihnen.

Führe die Menschen zur Heiligen Schrift, erinnere sie daran, dass Gott auf sie wartet (Mt. 11,28-30), dass er sie niemals verlassen wird (Ps. 27,10) und dass er der gute Hirte ist (Joh. 10). Lasse sie wissen, dass ihre Versuchungen normal sind (1. Kor. 10,13) und dass sie nicht allein sind.

Reflexionsfragen: 

  1. Wie geht es dir mit dir selbst und deinem Herzen, wenn du räumliche Distanzierung und die Herausforderungen dieser Zeit erlebst?
  2. Wie kannst du deine eigenen Kämpfe in der Isolation nutzen, um das Eis mit anderen, die verletzt sind zu brechen, bevor du sie zum Wort Gottes bringst?
  3. Wer ist jemand in deinem Einflussbereich, der die eindringliche Liebe Gottes durch dich braucht?

Dieser Beitrag erschien zuerst bei TGC. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.

https://www.biblicalcounselingcoalition.org/2020/11/13/helping-people-with-loneliness-and-temptation/

Über den Autor: Dr. Garrett Higbee setzt seine Gabe als Seelsorger auf verschiedene Weise und in verschiedenen Diensten ein. Zunächst arbeitete Dr. Higbee als klinischer Psychologe, bis er im Jahr 1992 eine radikale Umkehr erlebte. Seit diesem Zeitpunkt vertraut er allein auf Christus und seinem Wort, um Menschen im Leben und in der Seelsorge zu begleiten. Er lebt mit seiner Frau Tammy in Indiana. Sie haben drei gemeinsame Kinder – Rachel, Zach und Sarah.

Hinweis: Dr. Higbee war der Hauptredner bei der NBS Konferenz im Jahr 2016 zum Thema „Biblische Seelsorge & Jüngerschaft als DNA der Ortsgemeinde“

https://biblische-seelsorge.org/produkt/konferenz-2016-biblische-seelsorge-juengerschaft-als-dna-der-ortsgemeinde/