von Dennis Grüning

„Sie sind ein Herz und eine Seele!“ (Es geht um Eintracht, Einmütigkeit, Gleichgesinntheit), „Dem werde ich die Leviten lesen …“ (Jemand soll richtig in die Schranken gewiesen werden) oder „Ich muss mir, glaube ich, erstmal selbst vergeben …“ (Jemand bedauert bestimmte Handlungen aus der Vergangenheit). Solche Sprichwörter und einprägsame Phrasen werden von uns oft schnell wiederverwendet. Natürlich müssen wir nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, aber ich frage mich manchmal, ob wir wirklich wissen, was wir manchmal so von uns geben. Als „gute Christen“ wollen wir besonders mit starken theologischen Aussagen punkten – dann sehen wir gut aus – aber deckt sich unser Handeln eigentlich auch mit diesen Gedanken?

Tote Winkel

In der Seelsorge sehe ich immer wieder, wie blind wir eigentlich dafür sind, was in unserem Leben wirklich passiert. Wir haben blinde Flecken und tote Winkel. Das trifft auf uns alle zu – Ausnahmen gibt es nicht. Unsere Wahrnehmung der Dinge, die uns betreffen, ist oft nicht das, was wir uns eigentlich denken.

Vielleicht ist unser Tonfall zu harsch. Vielleicht kommuniziert unsere Gestik etwas anderes als das, was unsere Worte sagen. Möglicherweise versteht mein Gegenüber meine Intentionen nicht. Eventuell sind meine Worte gar nicht so klar, wie ich es glaube. Das Problem bei diesen Beispielen ist, dass ich das bei mir selbst oft nicht im Blick habe. Meine Wahrnehmung ist korrumpiert!

Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum Gott uns für Gemeinschaft geschaffen hat – wir sind begrenzt in unseren eigenen Fähigkeiten, deshalb brauchen wir andere, die uns helfen, Dinge besser zu sehen und zu verstehen.

Zu viel des Guten

Unsere Gestik, unsere Worte, Motivationen, Taten, Einstellungen, Gefühle – vieles von dem, was uns als Mensch ausmacht, entzieht sich unserer eigenen Wahrnehmung. Hierzu könnte man sicher einen ganzen Blog schreiben.

In Seelsorgesituationen wird mir immer wieder bewusst, dass unser Wissen und unser Handeln nicht deckungsgleich sind. Im Gegenteil, wir haben theologische Überzeugungen und tun sie kund, wo immer nötig. Schnell sind wir bereit, uns auf Sozialen Medien zu Wort zu melden. Wir wiederholen die Gedanken, Ideen und Wertvorstellungen von den Menschen, die wir für wichtig halten. Wir geben Inhalte weiter, die wir glauben, dass es wichtig ist, dass andere Menschen von uns hören, dass wir so denken. Doch aus meinem Blickwinkel sehe ich, dass das, was wir über Facebook, Instagram, TikTok oder auch in Gesprächen mit anderen weitergeben, nicht unbedingt mit dem zu vereinbaren ist, wie wir leben. Oft leben wir nämlich ganz anders.

Wir spinnen uns ein Netz „wichtiger Wahrheiten“ hinsichtlich vieler Aspekte unseres Lebens (Glauben, Erziehung, Ehe, Sport, Gesundheit usw.), doch leider ist unsere Kapazität diese Dinge auch zu leben, zu klein. So werden diese „Wahrheiten“, für die wir stehen wollen, eher ein Netz der Verwirrung – was soll ich wann wie machen? Ich komme da gar nicht mehr mit! Kein Wunder, dass wir dann die Hoffnung verlieren und zu zweifeln anfangen.

Das Herz ausschöpfen

Vielleicht weißt du schon, dass dein Herz kaputt ist und voller Sünde (Jeremia 17,1-13). Vielleicht machst du dir aber selbst noch was vor. Wenn du dir mal anschaust, was du mit Worten verkündest (mit deinem Mund oder digital) und dich dann fragst, „Spiegelt mein Leben diese vermeintlichen Überzeugungen eigentlich wider?“, zu welchem Schluss kommst du dann? Dies soll jetzt keine Anschuldigung sein, sondern eine herzliche Einladung zur Reflexion deines Lebens. Das Gute ist nämlich, dass Gott sich um unsere Seelen sorgt – deshalb ist Jesus Christus ja für uns ans Kreuz gegangen.

Da, wo wir es selbst nicht können, kann Seelsorge auch helfen aufzuzeigen, wo diese Diskrepanzen sich in unserem Leben verstecken. Gott sagt, dass es möglich ist, Dinge aufzudecken, die sich tief im Herzen verbergen. Es ist möglich, sie an die Oberfläche zu bringen (Sprüche 20,5). Was wäre, wenn wir die Demut hätten zu sagen, „Wie sieht das eigentlich bei mir aus?“ Was wäre, wenn wir die Courage hätten zu sagen, „Ich muss da was ändern – weniger Wahrheiten in die Welt trompeten und mehr von ihnen in meinem Leben umsetzen.“? Wenn du nicht weißt, wie du das tun sollst, wäre es vielleicht gut, mal einen Seelsorger aufzusuchen.

Was ich sage

Das, was uns einfällt, wenn wir über Gott nachdenken, ist das Wichtigste in unserem Leben.“, sagte Pastor und Autor A. W. Tozer. Doch was ist mit: „Das, was Gott über uns sagt, ist das Wichtigste in unserem Leben.“ Obwohl wir dieser Aussage sicher schnell zustimmen wollen, müssen wir uns fragen, ob dies auch wirklich der Wahrheit entspricht – ich meine nicht, ob es wahr ist, sondern ob wir diese Wahrheit auch leben. Ist das, was ich sage, auch das, was ich möchte, dass es sich in meinem Leben widerspiegelt?

Was ich lebe

In Römer 8,29 lesen wir, dass wir dazu bestimmt sind, „dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein.“ (ELB). Das Ziel ist klar vorgegeben: Wir sollen Jesus ähnlicher werden. In Johannes 8,29 lesen wir, dass Jesus von sich selbst sagt, dass er „allezeit das ihm [Gott der Vater] Wohlgefällige“ tut. Jesus will zeigen, dass er das, was er sagt, auch tut.

Ist das bei uns auch so? Schreie ich meine Kinder an, obwohl ich meine Kinder nicht zum Zorn reizen soll (Epheser 6,4)? Schaue ich mir Pornos an, obwohl ich nichts mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis gemein haben soll (Epheser 5,11)? Verlange ich Unterordnung von meiner Frau, obwohl ich selbst nicht bereit bin, mich für sie aufzuopfern (Epheser 5, 25)? Beispiele könnten wir genügend aufhäufen, bei denen sich eine Diskrepanz zwischen unserem Reden und unserem Handeln zeigt.

Nun möchte ich vorsichtig darauf hinweisen, dass wir hier nicht in die Gesetzlichkeit abdriften wollen. Es geht nicht darum zu tun, „was getan werden muss.“ Wir wollen nicht nur richtige Dinge sagen, wir wollen sie von Herzen und mit Freude tun. Es geht also um unsere Herzenseinstellung. Jesus gehorchte, weil er dem Vater, den er liebte, von Herzen zu gefallen suchte. Ist das auch unser Ziel, Gott von Herzen und aus Liebe zu gefallen?

Oft ist unser Ziel doch eher Sünde zu vermeiden, als Gehorsam zu leben oder nicht? Natürlich ist das Ergebnis von vermiedener Sünde auf der einen Seite und gelebtem Gehorsam auf der anderen letztlich das Gleiche: keine Sünde. Jedoch ist die Motivation dahinter eine komplett andere. Diese Tatsache, dieser andere Blickwinkel war eine sehr befreiende Wahrheit für mich in meinem Glaubensleben. Wie sieht das bei dir aus – wie lebst du? Was möchte Gott in deinem Leben ändern?

Hier sind einige Fragen für die Reflexion, egal ob du sie für dich selbst beantworten möchtest oder ob du sie in einem seelsorgerlichen Gespräch jemand anderem weitergibst:

  • Gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was ich sage und dem, wie ich lebe?
  • Wie lange sind mir diese Unterschiede bekannt? Was habe ich schon damit gemacht?
  • Welche Schritte des Gehorsams soll ich gehen? Welche Bibelverse machen mir das klar?
  • Welche Hindernisse liegen mir im Weg und halten mich davon ab vorwärtszukommen?
  • Wer könnte mich in diesem Prozess ermutigen, mir zur Seite stehen?
  • Was würde ich Gott heute konkret zu diesem Thema sagen wollen?

Sei ermutigt

Gott sagt über sich selbst:

„Jahwe, Jahwe, Gott barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue, der Gnade bewahrt an Tausenden von Generationen, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt …“ 2.Mose 34,6-7 (ELB)

Dieser wunderbare Gott ist es, der nicht aufhört, an bzw. in uns zu wirken (2.Korinther 3,18; Philipper 1,6; Titus 2,11-12). Mit Ihm an unserer Seite ist bleibende Veränderung möglich, sodass Reden und Leben, Theorie und Praxis in unserem Leben deckungsgleich werden.

Ihm sei dafür Lob und Dank!