
Michael Leister
Ich werde nie vergessen, wie ich im Oktober 2008 in Pretoria, Südafrika gemeinsam mit ca. 40 weiteren Studenten zum ersten Mal ein systematisches Studium in biblischer Seelsorge begonnen hatte. Wayne Mack war unser wichtigster Lehrer. Er „atmete“ Biblische Seelsorge, und ich war gelinde gesagt ein Neuling. So saß ich dort über Wochen in seinem Unterricht und werde ebenso nie vergessen, wie ich immer wieder in meinen Gedanken zu folgendem Schluss kam: „Genau genommen sagt dieser Mann nichts grundlegend Neues, aber ich habe es schlichtweg noch nie erlebt, dass jemand das Wort Gottes so gekonnt und treffend auf das tägliche Leben anwendet!“
Später folgten viele weitere ebenso feine Lehrer, und immer wieder war ich begeistert von eben dieser Fähigkeit, wie der Befund des Wortes Gottes durch Lehre, Ermahnung, Überführung und Zurechtweisung auf unser tägliches Leben angewendet wurde – und angewendet werden muss.
Haben wir den Sündenfall tatsächlich verstanden?
Kurze Zeit später war es dann Paul Tripp, der mir die Augen für das wahre Ausmaß des Sündenfalls öffnete. In den ersten Jahren nach meiner Wiedergeburt hatte ich eine eher „romantisch“ anmutende Vorstellung vom Sündenfall. Der Fall war eben ein bisschen Essen von einer verbotenen Frucht, so dass dieser Ungehorsam zur Sünde und damit zur Trennung von einem heiligen Gott führte.
„Sondern Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott …“ 1. Mose 3,5
Doch dass Satan mit seinem „Angebot“ in 1. Mose 3,5 Adam und Eva tatsächlich eines neues Reich vorgaukelte, mit dem Menschen statt dem Schöpfer im Mittelpunkt, diese Tatsache hatte ich bis dahin auch nicht annähernd erfasst.
„Ihr sein werdet wie Gott …“
Satan reichte es nicht aus, das höchste und schönste geschaffene Wesen zu sein. Er wollte selbst den Platz Gottes einnehmen und sich selbst zum Objekt der Anbetung machen und so die Herrlichkeit an sich ziehen, die allein Gott gebührt. Und eben auf die gleiche Weise bringt er auch die ersten Menschen zu Fall. Er wusste, dass die Menschen (ebenso wie die Engel) zur Anbetung Gottes geschafften wurden. Doch anstatt als Geschöpfe dem Schöpfer die Ehre und die Herrlichkeit zu geben, die ihm rechtmäßig zusteht, stiftet Satan den Menschen zu Selbstverherrlichung an. In dieser teuflischen Unterredung mit Eva bietet die Schlange der Frau ein besseres Königreich an, ein Königreich, in dem nicht mehr Gott, sondern der Mensch selbst auf dem Thron sitzen wird. Dieses Königreich würde nach seinen Vorstellungen, nach seinem Willen funktionieren.
Es war dieser tragische Moment in der Menschheitsgeschichte, wo ein neues Reich geboren wurde – das Reich des ‚Ichs‘ und der ‚Selbstsucht‘. Seit dem in 1. Mose 3 beschriebenen Sündenfall will der Mensch seinem schöpfungsgemäßen Auftrag – allein zur Verherrlichung seines Schöpfers zu leben – nicht mehr nachkommen. Ganz im Gegenteil. Er will sich selbst zum Mittelpunkt seines eigenen Reiches, seines eigenen Universums und seiner eigenen Verherrlichung machen. Dies ist kein freiwilliger oder optionaler Prozess. Wenn wir Gott nicht anbeten und andere nicht versuchen, in diese Anbetung mit hineinzunehmen, dann beten wie ultimativ uns selbst an.
Hollywood und Netflix bieten Herrlichkeit an
Nun werden manche an dieser Stelle zu Recht fragen: Na und! Was bitteschön hat das mit Hollywood und Netflix zu tun? Die Antwort lautet: Alles!
Der Mensch ist wie gesagt für Herrlichkeit gemacht, für das Außergewöhnliche, für das Besondere, für das Einzigartige. Es gehört zu seiner schöpfungsgemäßen Identität und zu seinem Auftrag, dass er sich ursprünglich um die Konturen eines unermesslich herrlichen Schöpfergottes drehen sollte. Doch seit dem Sündenfall will der natürliche Mensch nicht mehr die Herrlichkeit Gottes, sondern die Herrlichkeit dieser Schöpfung anbeten. Und so stellt auch Hollywood in seinen Streifen jede Menge Herrlichkeit zur Verfügung, die uns begeistern und in ihren Bann ziehen soll: Filmkulissen, die außerordentlich schön, perfekt, extravagant, phänomenal daherkommen. Darsteller, Männer wie Frauen, die meist außerordentlich attraktiv, begehrenswert, heldenhaft, heroisch anmuten. Drehbücher und Handlungen, die herausragend, spannend, atemberaubend, phänomenal sind. Hollywood führt uns in die Anbetung, in die Begeisterung für das Besondere, aber eben meist nicht in die Anbetung des Schöpfers, sondern der Schöpfung.
Die Rolle der Hauptdarsteller
Wenn dieser Blogbeitrag hier enden würde, würde ich mit jedem übereinstummen, der urteilt, das bis dahin nicht viel Neues gesagt wurde. Richtig. Deshalb wollen wir die Trageweite des Sündenfalls konkreter auf die Filmindustrie anwenden. Es gibt kaum einen oder gar keinen bekannten Hollywoodstreifen, der ohne Hauptdarsteller auskommt. Männer wie Leonardo DiCaprio, Clint Eastwood oder Brad Pitt sehen nicht nur gut aus, sie können alles, haben alles, ihnen gelingt alles. Schöne Frauen hängen sich um ihren Hals und sie haben in der Regel „sieben Leben“. Zweifelsohne könnte man an dieser Stelle auch eine lange Liste weiblicher Hauptdarsteller aufzählen, die ebenso begehrenswert daherkommen.
Was passiert nun regelmäßig, wenn wir mit dem Auge der Filmkamera diesen Helden auf Schritt und Tritt an jeden Ort hin folgen? Wie zuvor gesagt müssen wir dabei den Kern und das wahre Ausmaß des Sündenfalls vor Augen haben. Seit dem Fall will der Mensch selbst im Mittelpunkt stehen, möchte selbst das Objekt der Anbetung sein. Und so identifizieren wir uns mit diesen Darstellern, wir schlüpfen für die 90 bis 120 Filmminuten eben in die Haut jener Helden, leben ihr außergewöhnliches, extravagantes, heldenhaftes Leben. Wir wollen letztendlich dieses Objekt der Herrlichkeit und Anbetung sein und so leben wir für die Dauer der Illusion ihr Leben.
Dabei trifft Hollywood unseren Drang nach Selbstanbetung
Wir müssen uns bewusstmachen, dass Anbetung in erster Linie keine Aktivität ist, Anbetung ist unsere Identität. Wir können nicht anders, als anzubeten. Wenn wir es also versäumen, unseren Schöpfer zum Mittelpunkt unserer Anbetung zu machen, dann hören wir dennoch nicht auf, Anbeter zu sein. Wir schieben dann andere Dinge, die Schöpfung und zu allererst uns selbst ins Zentrum der Anbetung. Und so bieten uns die Hauptdarsteller von Hollywood, Netflix und Co. Einmal mehr eine hervorragende Gelegenheit, diesem Drang nach Selbstverherrlichung nachzukommen, indem wir uns dieser Illusion hingeben, für die Zeit des Films in ihre Rolle schlüpfen und diese gespielte Herrlichkeit für uns selbst in Anspruch nehmen.
Ich werde nie vergessen, wie mich (nicht nur) Top Gun I vor zugegeben mehr als 30 Jahren in seinen Bann gezogen hat. Doch es war nicht einfach nur Top Gun als Film, es war eben dieser Maverick alias Tom Cruise, der attraktiv aussah, der alles und jeden buchstäblich überflügelte, dem alles gelang, der von jedem gefeiert wurde und der obendrein auch noch die schönste Frau haben konnte. Für diese 109 Minuten identifizierte ich mit diesem Hauptdarsteller so sehr, dass ich nie vergessen werde, was für ein ernüchternder Moment es war, als sich der Vorhang dieses Kinos schloss, das Licht anging und die Illusion ein Ende fand.
Es gibt nur einen wahren „Helden“
In Wahrheit gibt es jedoch nur einen wahren „Helden“, und dieser heißt Jesus Christus. Er ist das Zentrum des Universums und der Geschichte. Er ist der einzig wahre Gott. Er besitzt alle Herrlichkeit. Ihm und ihm allein gebührt Macht und Reichtum, Weisheit und Stärke, Ehre und Ruhm und Lobpreis auf ewig. Wir sind um seinetwillen da. Wir sollen uns für ihn begeistern und sollen ihn anbeten.
Der Mensch ist zur Anbetung Gottes geschaffen. Doch hat die Sünde diese Bestimmung wie zuvor beschrieben zerstört. Seit dem Sündenfall will der Mensch sich selbst an die Stelle Gottes setzen. Der Mensch möchte seit jeher angebetet werden. Wir wollen im Mittelpunkt stehen und dass unser Königreich gebaut wird. Und in unserer Sündhaftigkeit hören wir eben nicht auf, Anbeter zu sein. In unserer Sündhaftigkeit vertauschen wir „lediglich“ das Objekt unserer Anbetung. Statt den alleinig wahren, herrlichen und ewigen Gott anzubeten haben wir uns selbst auf den Thron unseres kleinen, auf uns selbst reduzierten Königreiches gesetzt.
Lasst uns dem Vorbild unserer Lehrer folgen
Es ist eben dieser Drang, nach Selbstverherrlichung, der uns sowohl die Möglichkeit nimmt, ein Leben zur Verherrlichung unseres Schöpfers zu führen, als auch uns unfähig macht, liebevolle und „erlöste“ Beziehungen zu unseren Mitmenschen zu pflegen. Wenn uns dieser Zusammenhang und dieser Kampfplatz bewusst ist, dann erst verstehen wir den wahren Grund für all die Konflikte, für all die Streitigkeiten, für alle die Kämpfe in unseren Beziehungen, mit unseren Eltern, in der Schule oder am Ausbildungsplatz, unter den Studenten oder in unseren Gemeinden – und für unsere Feindschaft gegen Gott (Röm 5,10). Es ist ein Kampf um Anbetung.
Sicher trifft das hier gesagte nicht auf jeden Zuschauer, und auch nicht auf jeden Hollywoodstreifen zu. Allerdings sollten wir als Christen und Seelsorger auf diese Filme nicht so naiv schauen, wie es die Welt tut. Anbetung ist eine Gottgewollte Identität des Menschen, im Sündenfall haben wir das Objekt der Anbetung vertauscht, und die Steifen aus Hollywood bieten oft eine subtile, aber durchaus treffende Gelegenheit, dieser Selbstanbetung durch Identifikation mit den Filmhelden nachzueifern.
Wayne Mack, Paul Tripp und viele weitere Biblische Seelsorger verstehen es vortrefflich, unsere Zeit und unser Leben im Lichte des Wortes Gottes zu erkennen und zu interpretieren. Wir sollten es ihnen gleichtun und so auch unseren Ratsuchenden, nicht zuletzt aber auch unseren Kindern und Jugendlichen erklären können, wie diese heldenhafte Illusion aus Hollywood unmittelbar an den Zustand unserer gefallenen Natur andockt und uns zur Selbstverherrlichung verleiten kann.
Je mehr wir hingegen unseren Herrn Jesus Christus und sein herrliches Wesen in der Schöpfung und Erlösung kennenlernen, wird diese wahre Herrlichkeit uns und unsere Ratsuchenden von diesem knechtischen Drang der Selbstverherrlichung befreien können.
Fragen zur Reflektion
- Haben wir das Ausmaß des Sündenfalles tatsächlich erfasst?
- Rechnen wir damit, dass auch Hollywoodfilme an unsere Gottgegebene Identität als Anbeter appellieren? Haben wir in der Vergangenheit solche Filme zu unkritisch konsumiert?
- Sind wir in der Lage, den uns nahestehenden Menschen die Funktionsweise vieler dieser Filme und Serien zu erklären?
- Beschäftigen wir uns ausreichend mit der Herrlichkeit Gottes, wie sie uns in der Schöpfung und in der Erlösung mitgeteilt wird, um uns so für den wahren Helden zu begeistern?
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